Von Volker Beck
Als die CSU nach der letzten Bundestagswahl bar jeder Faktengrundlage Stimmung gegen vermeintliche Sozialleistungsbetrüger*innen aus Rumänien und Bulgarien machte, machte sie antiziganistische Ressentiments – die in der Bevölkerung nach wie vor weit verbreitet sind – in den Parlamenten wieder salonfähig. Zwar gaben sich die Konservativen stets bemüht, von Armutszuwanderung zu reden, doch klar war von Beginn, welche Stereotypen sie bedienen wollten. Und von den Beschränkungen des Freizügigkeitsrechts, die im Herbst 2014 dann beschlossen wurden, dürften Roma aus der EU besonders betroffen sein: Begrenzung des Aufenthalts zum Zwecke der Arbeitssuche, Wiedereinreisesperren bei „erschlichenem“ Freizügigkeitsrecht, Strafbarkeit von „Scheinehen“. Die Verantwortung für ein europäisches Volk, das jahrhundertelang verfolgt, diskriminiert und marginalisiert wurde, wurde von der Bundesregierung kaum wahrgenommen: Vorschläge zur Behebung offensichtlicher Mängel bei der Gewährleistung der Menschenrechte von Roma in nahezu allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurden nicht gemacht.
Sichere Herkunftsstaaten trotz kumulativer Diskriminierung
Doch das war nur der Anfang. Neben den Verschärfungen des Freizügigkeitsrechts wurden im Herbst 2014 drei Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt – wieder mit dem erklärten Ziel, vermeintliche Armutsmigrant*innen abwehren und schneller loswerden zu können. Die Bundesregierung berief sich auf die geringe Anerkennungsquote bei Asylsuchenden aus den Westbalkanstaaten und leitete daraus nicht etwa her, dass es bei der Berücksichtigung kumulativer Diskriminierung und nichtstaatlicher Verfolgung erheblichen Nachholbedarf gibt, sondern dass es in den Westbalkanstaaten eben keine relevante kumulative Diskriminierung und nichtstaatliche Verfolgung gebe.
Das ist offensichtlich falsch. Gerade Roma, denen die Registrierung bei staatlichen Behörden etwa in Serbien verwehrt wird, sind faktisch gezwungen in slumähnlichen Behausungen zu leben, in denen es oft keine zuverlässige Wasser- und Stromversorgung und im Winter keine Heizungen gibt und wo die dadurch entstehenden Hygienebedingungen gesundheitsgefährdend sind. Gerade diese unregistrierten Roma werden oftmals Opfer von Angriffen neonazistischer Gruppen, vor denen die Polizei keinen Schutz bietet und wohl auch nicht bieten will. In Mazedonien werden Roma, die sich für die Belange ihrer Community einsetzen, bei ihrer politischen Arbeit massiv beeinträchtigt.
All das erwähnte die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzentwurfs lieber gar nicht erst. Deshalb – und auch weil die menschenrechtliche Lage anderer Gruppen, Journalist*innen, Lesben, Schwule, Transgender, weiterhin äußerst prekär ist – war die Bestimmung der Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten verfassungsrechtlich äußerst bedenklich und politisch falsch. Sie war ein Dammbruch, der den Regierungen dieser Staaten einen Blankoscheck ausstellt, an ihrer menschenrechtlichen Bilanz nichts zu ändern, und anderen Regierungen Europas die Bestimmung dieser Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erleichtert.
Beschränkung sozialer und wirtschaftlicher Rechte
Zu dem damaligen Zeitpunkt ging die Herkunft aus einem dieser Staaten mit erheblichen Beschränkungen von Verfahrensrechten und Rechtsschutzmöglichkeiten einher. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Mit dem sog. Asylpaket I wurden die übrigen Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt und an die Herkunft aus diesen Staaten erhebliche Einschränkungen von sozialen und wirtschaftlichen Rechten geknüpft. Die Betroffenen wurden zum unbegrenzten Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen verpflichtet. Diese Massenlager liegen oftmals abgelegen und entfernt von den Ballungsräumen, verhindern dadurch die Integration und bieten sich geradezu als Zielscheibe für rassistische und antiziganistische Angriffe an. Die letzten Monate haben leider bestätigt, dass diese Anschläge keine abstrakte Gefahr, sondern Realität sind. In den Erstaufnahmeeinrichtungen gilt nun wieder die Residenzpflicht, das Sachleistungsprinzip und ein absolutes Beschäftigungsverbot, die ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander verhindern. Und wieder sind die Roma die ersten Leidtragenden.
Die Bundesregierung hat im Gegenzug zur Zustimmung zu diesen perfiden Regelungen Lockerungen beim Zugang von Staatsangehörigen der Westbalkanstaaten zum Arbeitsmarkt versprochen. Doch wie sieht die Lockerung tatsächlich aus? In der Beschäftigungsverordnung steht nun, dass den Betroffenen auch eine Arbeit, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, erlaubt werden kann. Schön und gut – doch steht dort auch, dass zuvor geprüft wird, ob nicht doch ein Deutscher, ein EU-Bürger oder ein Ausländer, der bereits eine Arbeitserlaubnis in Deutschland hat, die Stelle besetzen kann. Und Menschen, die in den 24 Monaten vor der Antragstellung Asylbewerberleistungen bezogen haben, sind von der Regelung ausgeschlossen. Einen Antrag auf Erteilung des entsprechenden Visums kann auch nur in den deutschen Botschaften im Herkunftsstaat gestellt werden. Diese Regelung wird ins Leere laufen. Allenfalls ein paar Hochschulabsolvent*innen aus der Mittelschicht werden vielleicht eine Weile in Deutschland jobben können, während sie nach einer ihrem Abschluss entsprechenden Beschäftigung suchen. Schön für sie – für die allermeisten Roma bietet die Regelung aber keine Perspektive, weil es ihnen sich aufgrund der strukturellen Benachteiligung im Bildungsbereich kaum möglich ist, vom Ausland aus in Deutschland Arbeit zu suchen und zu finden.
Stimme erheben gegen Ausgrenzung und Gewalt
In Bayern wurden die Konzepte zur Ausgrenzung von Flüchtlingen am schnellsten und am härtesten durchgesetzt, nämlich in den Einrichtungen in Bamberg und Manching, die weithin als „Balkan-Zentren“ firmieren. Wieder hat man den Verweis auf die Roma tunlichst vermieden, assoziativ ist das Balkan-Zentrum vom Roma-Lager aber nur ein Trippelschritt entfernt. In den bayerischen Zentren wird Kindern nicht einmal mehr der Besuch der Regelschulen erlaubt. Stattdessen erhalten sie – aufgeteilt in vier Altersgruppen – Unterricht in Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften, lernen aber weder Deutsch noch ihre Muttersprache. Ein klarer Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention, nach der die Bildung jedes Kindes darauf auszurichten ist, Achtung vor den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, zu vermitteln. Wie das in Deutschland ohne Deutschkenntnisse gehen soll, erschließt sich nicht.
Was tun, wenn Deutschland seine Verantwortung für die Roma mit Füßen tritt? Es kann nur eine Antwort geben: Solidarität. Solidarität aller menschenrechtsbewussten Menschen in diesem Land mit dem Volk der Roma, Solidarität der Roma, deren Wurzeln seit Jahrhunderten in Deutschland sind, mit denjenigen Roma, die aus anderen Staaten nach Deutschland kommen, Solidarität der Roma mit allen Menschen, die vor Verfolgung und Krieg nach Deutschland fliehen. Nur wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, werden wir der Politik dieser Bundesregierung etwas entgegensetzen können. Es muss ein Ende haben, dass die Rechte und Belange der Roma überall in Europa mit Füßen getreten werden und dass wir sie hin- und herschubsen von Land zu Land. Gemeinsam müssen wir den Kreislauf der Ausgrenzung durchbrechen, indem wir in den Parlamenten, am Arbeitsplatz und auf der Straße die Stimme gegen antiziganistische Hetze und Gewalt erheben und zukunftsweisende Maßnahmen ergreifen, die den Zugang von Roma zu Bildung und Arbeit erleichtern und gesellschaftliche Teilhabe fördern, da wo sie gerade sind.
Volker Beck ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Deutschen Bundestages.