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Wir brauchen mehr Menschlichkeit

By 5. März 2015Aktuelles

In Deutschland leben Menschen, die ständig ein Gefühl von Unsicherheit und Angst begleitet. Das Gefühl von „Zuhause“ wird ihnen verwehrt und das oft schon seit Generationen. Als Rom e.V. sind wir seit fast 30 Jahren Ansprechpartner und Anlaufstelle für Roma und Sinti. Viele von ihnen suchen als Flüchtlinge Schutz, andere sind inzwischen voll in Deutschland integriert. Doch sie alle haben die Erfahrung gemacht, dass ihre kulturelle und ethnische Herkunft ein Stigma bedeutet. Sie alle wissen, was es heißt, tagtäglich gegen unzählige Vorurteile zu kämpfen und diskriminiert zu werden.

„Wir sind hier nicht mehr sicher!“
„Wir müssen alle Angst um unsere Kinder haben!“*

Eine wachsende Zahl von Roma und Sinti fühlt sich in Deutschland unerwünscht und bedroht. Es macht uns traurig, mit welchen Ängsten sich diese Menschen an uns wenden oder in sozialen Netzwerken äußern. In der Gesellschaft und in klassischen Medien werden sie leider kaum wahrgenommen. Schlimmer noch, negative und einseitige Berichterstattung verschlimmert die Lage von Roma und Sinti sogar. Und längst sind es ganz unterschiedliche Gruppen, die Roma und Sinti ihre Daseinsberechtigung in diesem Lande absprechen.

Mit großer Sorge und Abscheu, beobachten wir gesellschaftliche Entwicklungen der jüngsten Zeit. Zu Tausenden ziehen Deutsche auf die Straße. Vermeintlich besorgte Bürger machen ihrem Frust Luft. In das Fadenkreuz ihrer Gesellschaftskritik geraten die Schwächsten: Flüchtlinge, Asylanten und andere Menschen, die eigentlich auf unsere Hilfe angewiesen sind. Ihnen schlägt geballter Hass entgegen. Das Beängstigende daran: Wir haben es nicht mit einem rechten Phänomen zu tun. Stattdessen sind die Ideen von Pegida & Co. längst in der breiten Öffentlichkeit angekommen und salonfähig geworden. Gewalttätige Übergriffe gegen Minderheiten häufen sich. Menschen werden wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft verprügelt und sogar ermordet. Moscheen und Synagogen werden mit Hakenkreuzen beschmiert und Minderheiten durch soziale und wirtschaftliche Zwänge in maroden Vierteln gettoisiert. Zustände, die uns an längst vergangen Zeiten erinnern! Die deutsche Geschichte lehrt uns: Stigmatisierung, Schikane, Entrechtung, Verfolgung und Genozid sind eng miteinander verknüpft. Hunderttausende Roma und Sinti sind einst Opfer des Holocaust geworden. Ein unvorstellbares Verbrechen, dass jedoch tief im kollektiven Gedächtnis dieser Minderheiten verankert ist. Es prägt ihre Identitäten und ihr Leben bis ins Hier und Jetzt.

Diese Tatsache verbietet uns und dem Rest der Menschheit, den Mund zu halten! Rassismus und Radikalismus dürfen in unserer deutschen Gesellschaft keinen Raum haben. Dort wo sie aufflammen, sind wir alle gefordert, uns dagegen zu stellen. Ein friedliches Miteinander, Wertschätzung und Solidarität sind die höchsten Güter. Für sie müssen wir kontinuierlich eintreten und uns auf unserem Weg nicht beirren lassen. Als Rom e.V. bekennen wir uns eindeutig zu diesen sozialen Werten und dem Auftrag, uns für Völkerverständigung einzusetzen.

Wir wollen, dass die Gesellschaft sich für Roma und Sinti öffnet. Gleichzeit helfen wir Angehörigen dieser Minderheiten – dort, wo man sie lässt – auf dem beschwerlichen Weg, ein anerkanntes Vollmitglied unserer Gesellschaft zu werden. Und diesen Wunsch haben wir auch für andere Minderheiten – unabhängig von Religion, ethnischer und kultureller Herkunft, sexueller Gesinnung oder ähnlichem. Aufklärung und Bildung sind unsere wichtigsten Instrumente, um Ignoranz auf allen Seiten abzubauen.

Der Rom e.V. wünscht sich von seinen Mitmenschen vielfältige Unterstützung. Und wir suchen das Gespräch miteinander, um Unwissen und daraus resultierende Ressentiments abzubauen. Dies gilt für Roma und Sinti genauso wie für die deutsche Gesellschaft. Wir wollen keine parallelen Universen bevölkern, deshalb müssen wir im positiven Sinne transparenter füreinander werden. Nur so ist es uns möglich, eine Gesellschaft zu formen, in der wir alle leben können und wollen. Deutschland braucht mehr Menschlichkeit!

Gianni Jovanovic
Vorstandsmitglied Rom e.V.